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Etwas sperrig, der Name: 15. Bundeskongress Nationale Stadtentwicklungspolitik, vom 14. bis 16. September in Berlin. Wir waren dort, und es war viel unkomplizierter als es klingt.

Denn spätestens seit dem Projektaufruf Post-Corona-Stadt, in dessen Folge sich mittlerweile 17 große und kleine Projekte in ganz Deutschland damit beschäftigen, wie Städte resilienter werden können (darunter wir in Erlangen), gibt es ein Gegengewicht zu abgelesenen Grußadressen und politischen Willensbekundungen: In Form von konkreten Beispielen für „Stadtentwicklung durch einfach loslegen“ aus den Post-Corona-Städten.

Gleich am ersten Tag kamen die Post-Corona-Stadt Projekte unter dem Motto „Testfeld Straße“ zusammen. Moderiert von Cordelia Polinna stellte zunächst Anna Bernegg (beide Urban Catalyst Berlin) einführende Thesen zu neuen Chancen für den öffentlichen Raum vor. Stichworte: Pop-Up als vitales Prinzip zum Austesten mit vereinfachter Genehmigung, Straße als Lebensraum – und zwar von Hauswand zu Hauswand. Clever der Vorschlag, die Bewegung „weg vom motorisierten Individualverkehr“ nicht als Verlust, sondern als Gewinn an Lebensqualität zu sehen.

Frederik Serroen (vom bouwmeester, Brüssel) sprach dann in seiner Präsentation über nachhaltige Verkehrskonzepte genau das aus, was selbst hier in Erlangen bei der städtebaulichen Debatte in der Luft liegt: „the next big thing is many small things“. Die großen Schachzüge, die in Planungsabteilungen vorbereitet und dann auf die Fläche der Stadt verteilt werden, sind immer schwieriger umzusetzen, und ihre Wirkungen sind immer schwieriger kalkulierbar. Mit „small things“ sind diese temporären Versuche und die parallel zur Genehmigungspraxis laufenden, oft künstlerischen Experimente gemeint, die eine neue Realität aufblitzen lassen. Damit entstehen gemeinsam erlebte Ziele, auf die man sich einfacher verständigen kann als auf abstrakte Beschreibungen.

Und so fielen die anschließenden Kurzpräsentationen der Post-Corona-Stadt-Projekte aus Hamburg, Leipzig und Stuttgart auf einen perfekt vorbereiteten Boden. Sie waren ausgewählt worden, weil in ihnen die Straße (bzw. in Stuttgart die Wasserstraße Neckar) eine besondere Rolle spielt. Kurios: temporäre Straßensperrungen haben in Leipzig für alle Beteiligten eher explosives Potential, während aus Brüssel die Erfahrung kommt, dass sich nach ein paar Wochen spätestens „alle dran gewöhnt haben und Ruhe geben“. Das müsse man aushalten, meint Frederik Serroen.

Wir hätten im Anschluss noch lange in kleinen Gruppen zusammenstehen und gemeinsam über Gemeinsamkeiten und Unterschiede unserer Projekte reden können. Doch das Programm eilte weiter, die Berliner Bürgermeisterin kam noch, und der Senator für Stadtentwicklung. Spannender war es dann, Naherkundung zu machen rund ums Gleisdreieck, an dem er Tagungsort lag. Dort liegen für uns interessante Projekte wie das „urban ideation lab“ b-part, ein geförderter Neubau aus Holz mit Schwerpunkt Co-working. Die Atmosphäre ist sehr busy, so busy, dass man auch gar niemanden zu fassen bekommt, der ein paar Worte zum Hintergrund erklären kann.

Am zweiten Tag des Kongresses gab es eine einprägsame Keynote von Prof. Schellnhuber (Potsdam Institut für Klimafolgenforschung): Saving the world in style. Er hatte noch am Morgen, so sagte er, ein Chart zur Klimaentwicklung fertiggestellt, und zeigte, wie die durchschnittliche Temperatur bis 2100 auf ungesunde plus 2,3 Grad steigt. Dann aber wieder abgesenkt werden kann, wenn die Bauwirtschaft sich radikal weg vom Beton und hin zum Holz bewegt. Konkret: wenn die vier Milliarden Behausungen, die seiner Annahme nach in diesem Zeitraum zu schaffen sind, als hölzerne CO2 – Senken wirken.

Später am Infostand von Immovilien, einem Verein, der gemeinwohlorientierte Immobilienentwicklung erprobt, tut sich wieder die schon angesprochene Vielfalt der „bottom-up“ Ansätze auf. Es ist möglicherweise auch für das ZAM interessant, hier Mitglied zu werden, denn wir bewirtschaften die Greiner-Immobilie.

Spannendste Diskussion des Tages: Digitale Zwillinge, also die Modelle von Städten im virtuellen Raum, gebildet aus den Daten, die Städte schon haben und zukünftig sammeln. Sie werden genutzt, um Klimaentwicklung zu simulieren, oder Verkehrsströme. Vieles mehr. Digitale Zwillinge könnten eine höhere Anschaulichkeit in Vorhersagen bringen, und damit Planungen für die Zukunft (die StUB, die verkehrsberuhigte Innenstadt?) auf plausiblere Beine stellen.

Tag drei brachte eine engagierte Führung von Leona Lynen (Werkstatt Haus der Statistik) durch die Baustelle dieses Modellprojekts am Alexanderplatz. Es ist das ZAM x 10, inklusive Wohnungen und Flächen für die Senats- bzw Finanzverwaltung. Also der Mix von ganz unterschiedlichen Nutzungen, in großer Nähe zueinander. Man spürt eine hohe Professionalität, und gleichzeitig die Lust am Experiment. Während die großen Baufirmen der Republik beginnen, die entkernten Gebäude flott zu machen, treffen wir im labyrinthischen Haus der Materialisierung auf Textil- und Fahrradwerkstätten, Materialrecycler, Leihläden und kommen wir an provisorischen Arbeits- und Versammlungsräumen vorbei. Definitiv ein Ort zum Wiederkommen: Fertigstellung soll 2024 sein.